die Kunst des inneren Gärtnerns

Ich sitze gerade sehr gemütlich an meinem Schreibtisch und ein paar kleine Schneeflocken erfreuen mich. Die Vögel singen schon viel öfter und lauter als noch vor ein paar Tagen und Raphael ist gestern aufgefallen, dass sich die Erde nicht mehr so hart anfühlt. Wir befinden uns in einer Zwischenphase: der Winter hat sich noch nicht verabschiedet und gleichzeitig kündigt sich zart – aber schon deutlich spürbar – der Frühling an. Noch nie habe ich den Winter so sehr genossen, wie in diesem Jahr… ich folgte der Einladung es in mir gemütlich zu machen, in meine Tiefe zu tauchen – so wie die Bäume, die ihre Säfte tief in die Erde schicken. Dort umarmte ich auch das Dunkle (Schwere, Ängstliche,…) in mir. Früher verspürte ich einen starken Drang den Winter zu überstehen und dann schnell wieder auf der anderen „Seite“ im Frühling wieder aufzutauchen. Heute freue ich mich, dass jede Jahreszeit eine andere Qualität mit sich bringt und bevorzuge nicht mehr den Frühling oder den Sommer. Im Gegenteil ich bemerke, dass mein (innerer) Wachstum nur möglich ist, wenn ich mich auf die (inneren und äußeren) Rhythmen einlasse. Immer mehr beobachte ich, wie es große und kleine Bäume machen. Ich lasse mich auf den Wechsel der Jahreszeiten ein und nehme die unterschiedlichen „Aufgaben“ wahr. Wir „müssen“ nur die Natur beobachten, dann wissen wir was zu tun ist. So möchte ich dir heute ein Bild aus der Natur von Thich Nhat Hanh schenken, das ich gestern zufällig wieder gelesen habe. Es passt so wunderbar zu unserem Themenschwerpunkt „bewusst in Beziehungen“: „You have two gardens: your own garden and that of your beloved. First, you have to take care of your own garden and master the art of gardening. In each one of us there are flowers and there is also garbage. The garbage ist the anger, fear, discrimination, and jealousy within us. If you water the garbage, you will strengthen the negative seeds. If you water the flowers of compassion, understanding and love, you will strengthen the positive seeds. What you grow is up to you.“ „Du hast zwei Gärten: deinen eigenen und den deines Geliebten/deiner Geliebten. Zuerst musst du dich um deinen eigenen Garten kümmern und die Kunst des Gärtnerns beherrschen. In jedem von uns gibt es Blumen und auch Abfall. Der Abfall ist Ärger, Angst, Diskriminierung (im Sinne von Unterscheidung) und Eifersucht. Wenn du den Müll in dir wässerst, stärkst du deine negativen Samen. Wenn du die Blumen des Mitgefühls, Verstehen und der Liebe gießt, stärkst du deine positiven Samen. Es hängt von dir ab, was du großziehst. (eigene Übersetzung)“

zwei Gärten

Yeah – wir haben zwei Gärten und als erstes müssen wir uns um unseren Garten kümmern – genau das machen wir im Moment in unserem Themenschwerpunkt „bewusst in Beziehungen“. Wir entwickeln Bewusstheit/Achtsamkeit in unseren Beziehungen. Wir sind in unserem Körper präsent, wenn wir mit anderen Menschen zusammen sind. Wir sind wirklich da und spüren, was in unseren Interaktionen abläuft. Es ist so hilfreich zu bemerken, was in unserem Garten wächst und was wir gerade gießen.

Nicht-Diskriminierung

Nicht-Diskriminierung ist ein wichtiger buddhistischer Ausdruck und ist im Zusammenhang mit unseren Gefühlen sehr wichtig. Ich kenne dieses Bild des Gartens schon viele Jahre und habe mich oft verurteilt, wenn ich „Müll“ in mir gefunden habe. Oft hatte ich das Gefühl, wenn ich es „richtig“ machen würde, dann gäbe es keinen Müll mehr in mir. Ich wäre immer im Frieden, glücklich und mit der Welt, den Menschen verbunden. Doch genau, wie wir nichts falsch machen, wenn der Winter kommt, mit seiner Dunkelheit und Kälte… machen wir nichts falsch, wenn wir unseren dunklen Seiten und unangenehmen Gefühlen begegnen. Im Gegenteil, der Winter bereitet die Natur wieder auf den Frühling vor und unser Kümmern um unseren Schmerz, unser Unwohlsein bringt unsere Freude, wahres Glück und Zufriedenheit hervor. Mir hat es sehr geholfen meine unterschiedlichen Gefühle nicht mehr in Abfall und schöne Blumen zu unterteilen, sondern ich erkannte wunderschöne Blumen in mir und Blumen, die geschicktes Umgehen von mir brauchen. Es gibt wuchernde Blumen, die ich liebevoll zurückschneiden kann, damit sie nicht alle anderen Pflanzen überdecken. Es gibt aber auch eher unansehnliche, ungeliebte Blumen, die meine Aufmerksamkeit, mein liebevolles Kümmern brauchen. Ich schmeiße keine Blumen mehr aus meinem Garten, sie dürfen alle hier sein, aber es braucht mein Geschick, meine Beobachtungsgabe, mein aufmerksames Hinspüren und meine gestalterischen Fähigkeiten, dass alle Pflanzen ihren Platz haben und gleichzeitig sich mein Garten in meine gewünschte Richtung entwickelt.
Ja, ich bin bereit allem zu begegnen und gleichzeitig gebe ich die Richtung vor.
 
Ist das verwirrend? Wenn z.B. Angst da ist, kümmere ich mich um die Angst. Ich fühle sie, lenke meine Aufmerksamkeit in den Körper und lasse sie in meinem Körper zirkulieren ohne über sie nachzudenken. Aber ich erlaube Angstgedanken nicht, mein ganzes Leben zu bestimmen. Sie bekommt ihren Platz in meinen Garten – wird nicht rausgeworfen, ich beobachte aber genau, dass sie nicht alle anderen Blumen überwuchert. Genauso kümmere ich mich um schwierige Pflanzen wie Unruhe, Überforderung, Verletzungen,… – ich habe nichts falsch gemacht, wenn sie da sind! – ich fühle sie in meinem Körper. – sie dürfen in meinem Körper zirkulieren. – gleichzeitig keine neuen Storys, keine sich wiederholenden Gedanken… So können wir die Kunst des inneren Gärtnerns erlernen. Wir können uns um unseren eigenen Garten kümmern und ihn zu einer Oase der Schönheit, Vielfalt gestalten, der unsere Individualität ausdrückt. Oft verlangen wir, dass sich andere Menschen (meistens unsere PartnerInnen) um unseren Garten kümmern, doch die können nicht wissen, was gegossen, zurückgeschnitten oder auf einem stabilisierenden Stab festgebunden gehört. Wir müssen unseren eigenen Garten selbst kennen lernen und günstige Bedingungen für unsere wunderschönen Pflanzen schaffen. Natürlich kannst du deinem Partner/deiner PartnerIn deinen Garten zeigen… die wunderschönen Pflanzen, die viel Wasser (auch von ihm/ihr) brauchen und die eher schwierigen Pflanzen, die er/sie besser nicht zusätzlich gießen sollte. Aber es ist sehr hilfreich, wenn du vorher deinen Garten gut kennst und dich selbst um ihn kümmern kannst. Ooooh, eigentlich wollte ich dir heute nur kurz Hallo sagen und fragen, wie es dir mit dem ausklingenden Winter geht und ob du in deinem Körper bist, wenn du anderen Menschen begegnest, aber jetzt ist es ein kleiner Ausflug in die Kunst des inneren Gärtnerns geworden… vielleicht ist bei mir auch schon ein bisserl Vorfreude auf den Frühling und das Bepflanzen unseren äußeren Gartens da. Ich wünsche dir inzwischen ein freudiges Einlassen auf Schneeflocken, Vogelgezwitscher – ein freudiges Sein mit allem in deinem „inneren“ und „äußeren“ Leben! Alles, alles Liebe!