denken – Fluch oder Segen?

„Wow, ich denke dauernd! Wie wunderbar – deshalb bin ich auch immer so gut vorbereitet, kann ‚spontan‘ schlagfertig antworten, weil ich alles schon durchdacht habe.“ Beglückt ging ich weiter meiner Praktikumsarbeit in der Hausdruckerei der Hypo Tirol nach. In diesem Moment – mit 14 Jahren – wurde mir das erste Mal bewusst, dass ich dauernd denke, dass ein Gedanke dem anderen folgt. Diese Erkenntnis gab mir Sicherheit und ich fand es etwas Besonderes. Ich denke immer wieder an diesen ersten Moment der Bewusstwerdung an diesem sonnigen Tag in der Druckerei. Doch heute sehe ich ihn anders. Nach wie vor erkenne ich den Wert von erfrischenden, schönen, dankbaren, inspirierten Gedanken. Ich spüre, wie viel Kraft diese Gedanken haben und unser Leben im Außen verändern können. Doch ich sehe auch den Sumpf des „dauernd-denken-müssens“ und wie es vom Leben abschneiden kann. Ich mag es meinen Denkapparat zu benutzen und leide darunter, wenn er mich benutzt. Von so vielen Menschen höre ich, dass sie wieder Herr/Frau im eigenen Haus werden möchten und nicht mehr dem „Denken“ ausgeliefert. Doch was sie auch probieren, das Denken wird dadurch meist nicht weniger, sondern oft lauter. Genau so ging es mir in den letzten Tagen:

mein unheilsamer Verstand:

Am liebsten hätte ich laut gelacht, wenn es nicht so mühsam gewesen wäre. In der Vorbereitung auf die kommende sunday-morning-practice habe ich bereits auf eine herausfordernde Überraschung gewartet. Und diese zeigte sich, als lauter und unheilsamer Verstand: Mein Körper war geschwächt. Ich stärkte anfangs meine Achtsamkeit. Da ich bereits weiß, dass dies eine Herausforderung für meine Bewusstheit ist. Aber nach ein paar Tagen übernahm der Verstand die Vorherrschaft. Er plapperte immerzu, manchmal schimpfte er mich, manchmal nahm er mir Kraft. Er führte mich an unheilsame Orte und schickte mich vom einen zum anderen. Ich erkannte, dass er nicht die Wahrheit „sprach“, aber er redete weiter, wie ein Radio, das ich nicht ausstellen konnte. Es wirkte auf mein gesamtes System: – auf meinen Körper, der wurde schwächer, zog sich zusammen, – auf meine Worte, die wurden ungeduldiger und mein Ton veränderte sich – auf meine Handlungen, es floss genau jene Energie in meine Taten, die in mir war. – meine gesamte Wahrnehmung wurde dunkler, dumpfer, feindseliger. Ich hatte kaum noch Zugang zu meinem inneren Raum, denn sogar dessen Existenz verneinte mein Denken. Doch genau in einem dieser Momente traf mich dieser Satz von Jack Kornfield – im doppelten Sinn des Wortes:
„… es besteht die Möglichkeit dein Denken von einem Ort aus anzuhören, der sich nicht im Verstand, sondern im Herzen befindet.“
 
(Jack Kornfield „Meditation für Anfänger“ S. 78/79)
 
Viele, viele Male habe ich diesen Satz schon gelesen, er hat mich nie berührt. Durch die naturwissenschaftliche Richtung meines Studiums ist mir der Begriff „Herz“ oft etwas suspekt, zu unkonkret –zu unwissenschaftlich. Doch in diesen Tagen fiel er endlich auf weichen Boden bzw. in ein weiches Herz. Sofort bemerkte ich, dass ich zwischen Verstand und Herz „switchen“ kann und dass sich mein Denken von hier aus ganz anders anfühlt. Hier ist viel mehr Offenheit, Weisheit und Verständnis, als im Verstand – genau wie Jack Kornfield schreibt. Das Herz erlaubt mir auf Dinge einzugehen, ohne mich von ihnen einfangen zu lassen. Vielleicht ist deinem Verstand diese „Ortsangabe Herz“ auch suspekt – doch überprüfe es für einen Moment: Betrachte deine Gedanken mit deinem Verstand und dann „wechsle“ in dein Herz und betrachte von dort aus dein Denken. Vielleicht bemerkst du, dass sich dein Blick auf deine Gedanken aus dieser Perspektive viel liebevoller und gleichzeitig nicht so verhaftet anfühlt. Hier nochmal die Minianleitung: Sinke vom Verstand in dein Herz. Spüre die Mitte deiner Brust. Höre deinen Gedanken von hier aus zu. Was verändert sich? Probiere es kurz aus, vor du weiterliest… damit du wirklich mit Erfahrung weiter lesen kannst und nicht mit theoretischen Einwänden. Vielleicht bemerkst du sofort Erleichterung, ein inneres Aufatmen, liebevolles Betrachten… Vielleicht spürst du eine Trennung zwischen Kopf und Herz. Vielleicht triffst du auf Schmerzen, Anspannung, Härte,… rund um dein Herz. … vielleicht ist es ganz anders. All‘ diese Möglichkeiten sind wunderbar: du kannst sie fühlen, mit ihnen atmen, mit ihnen sein – und du wirst bemerken – genau das, lässt deine Gedanken ruhiger werden. D.h. es muss sich nicht sofort wunderbar in deinem Herz anfühlen, sondern spüre was einfach da ist und dadurch wird dein Verstand leiser, es wird weicher in dir und du sinkst ein Stückerl tiefer in dich hinein. Aus dem Kampf wird ein Betrachten. Aus dem Denken wird Fühlen. Der harte Verstand weicht dem weichen Herz. Und dieser klare, ruhige Geist ist so erholsam für dich. Für alle Menschen in deiner Umgebung. Er wirkt in deine Handlungen. Wenn du dies in den nächsten Tagen immer wieder ausprobierst, ist dein Erfahrungsschatz im Umgang mit deinem Denken schon um so vieles reicher… vielleicht magst du hier aufhören zu lesen und einfach üben – die konkrete Übung ist viel sinnvoller als hunderte Theorien, die niemals in deinem Leben zum Einsatz kommen. Doch ich schreibe ein Stückerl weiter – weil ich mit diesem Text auch meine Teilnehmenden auf die sunday-morning-practice einstimmen mag und du kannst ja selbst so portionieren, wie es für dich stimmig und verdaubar ist. Kennst du diese drei Arten von Gedanken? – inspirierte, intuitive Gedanken – meist aus einem klaren inneren Raum – Gewohnheitsgedanken – der Raum zeigt sich oft nebelig, sumpfig – Unheilsame Gedanken – es kämpft etwas im inneren Raum (wie bereits oben beschrieben) Es ist so spannend diese drei Arten zu erforschen – lass es uns gemeinsam tun: Denke an deinen letzten inspirierten Gedanken und spüre seine Qualität: Fühlte er sich leicht an? Streifte er dich, wie eine Sternschnuppe? Brachte er etwas in deinem Körper in Bewegung – wie ein Tropfen der in’s Wasser fällt? Im Gegensatz dazu möchte ich den Sumpf von Gewohnheitsgedanken daneben stellen. Meist nehme ich Gewohnheitsgedanken wie Nebelgeschwader wahr – dumpf, verworren, eher drückend. Oder manchmal erkenne ich sie als eine Kette, die schnell länger wird und meinen ganzen inneren Raum einnimmt. Die unheilsamen Gedanken habe ich oben sehr ausführlich beschrieben, deshalb gehe ich jetzt genauer auf die inspirierten und Gewohnheitsgedanken ein. Wir sind die Gewohnheitsgedanken so sehr gewöhnt, dass wir nicht wirklich an ihnen leiden. Doch trotzdem trennen sie uns vom direkten Erfahren und somit vom Leben – auch wenn es sich um schöne Gewohnheitsgedanken handelt. Alles wird dumpf, farblos und oft ist es mit innerem Stress verbunden. Gewohnheitsgedanken schaffen damit stilles, aber oft größeres Leiden, als die unheilsamen Gedanken. Vergleichbar mit einem Organ, das keinen Schmerz verursacht aber trotzdem erkrankt und den ganzen Körper gefährdet. Es geht nun nicht darum, alles Denken zu unterbinden, sondern Raum zu schaffen für inspirierte Gedanken. So wie eine Sternschnuppe nur bei klarem Himmel sichtbar ist, kann ein inspirierter Gedanke nur aufsteigen, wenn unser innerer Raum nicht vollgemüllt ist, mit Gewohnheitsgedanken, die sich zum tausendsten Mal wiederholen bzw. dauernd vom einen zum anderen führen: Die Quantität der Gedanken wirkt sich auf deren Qualität aus. D.h. um so mehr wir in unserem Gedankensumpf herumwaten umso kleiner ist die Chance wertvolle, inspirierte Gedanken der Einsicht/Erkenntnis zu erfahren. In welcher Situation kam dir die letzte wunderbare Idee, die Kraft in sich trug? War es beim Grübeln? War es vielleicht beim letzten Spaziergang durch die Schneelandschaft, beim Wandern oder in der Sauna?   Du kannst nun „direkt“ oder „indirekt“ mit den Gedanken und deinem inneren Raum arbeiten: indirekte „Arbeit“ – Achtsamkeit schafft Raum Ich liebe den indirekten Zugang. Wenn du Achtsamkeit übst und von deinem Kopf in den Körper zurückkehrst, verlangsamt sich automatisch dein Denken – es entsteht Raum zwischen deinen Gedanken und dein innerer Raum wird klar und frisch. Inspirierte Gedanken können wieder aufsteigen. Ich spitzte immer die Ohren, wenn Zen-Meister Thich Nhat Hanh in seinen Dharma Talks betonte: „Mit Achtsamkeit und Konzentration entsteht Einsicht.“ Er sagte nicht: „Du musst viel denken und grübeln und jedem Gedanken nachgehen, dann kommen die wirklich wichtigen Erkenntnisse.“ Sondern ich darf den jetzigen Moment direkt erfahren und Einsicht steigt auf. Ich bin mir so sicher, dass du das schon weißt, aber trotzdem ist es vielleicht oft schwierig aus den Gedankenketten auszusteigen. Du sehnst dich vielleicht danach diesen ruhigen, klaren inneren Raum zu spüren und möchtest deine lästigen Gedanken rausfegen. Doch das Streben nach Ruhe, innerer Stille und das Wegdrücken von Gedanken, lässt sie nur noch stärker werden. Deshalb lass bei diesem indirekten Zugang alle Gedanken hier sein und lenke ganz sanft deine Aufmerksamkeit z.B. auf deine Schritte und spüre den Boden unter dir oder trinke voller Aufmerksamkeit deinen Tee oder höre deinem Partner mit deinem ganzen Körper zu. Wahrscheinlich taucht beim Schlucken des Getränks wieder ein Gedanke auf, dann nimm ihn wahr und spüre wie dein Atem ihn bewegt und nimm dann den Geschmack des Tees wahr. Auch in der formellen Meditation übe ich meistens mit diesem indirekten Zugang: Ich spüre meinen Atem und meinen Körper. Am Anfang nur grob das Ein- und Ausatmen. Mit der Zeit verfeinert sich meine Aufmerksamkeit. Meine Wahrnehmung wird genauer. Ich spüre die Nuancen, die Tiefe, Geschwindigkeit immer genauer. Dabei verlangsamt sich mein Denken und ich bekomme wieder Raum. direkte „Arbeit“ – Denkprozesse kennen lernen Doch manchmal will ich direkt mit meinen Gedanken arbeiten und meine Denkprozesse kennen lernen. Auch hier beginne ich mit der sanften Konzentration auf den Atem – baue Achtsamkeit auf. Wenn ein Gedanke auftaucht, dann erkenne und benenne ich ihn und lasse ihn damit wieder los. Morgens besteht eine solche Meditation sehr oft aus dem Wort planen – planen – planen 😉 Es ist unglaublich, wieviel Sicherheit und Kontrolle mir das Denken auch heute noch gibt – und wie wunderschön es sich anfühlt, wenn ich es erkenne und in den entstandenen Freiraum sinken kann. Achte darauf, dass deine Achtsamkeit auf den Atem schon recht stabil ist und übe erst dann damit.   Es gibt so vieles auszuprobieren: Magst du heute mal auf Sternschnuppen achten und das Nebelgeschwader entlarven? oder: Möchtest du achtsam einer Tätigkeit nachgehen und beobachten wie dein Gedankenstrom langsamer wird? oder: Bist du neugierig deine Gedankenmuster kennenzulernen und übst das Benennen in der Sitzmeditation oder: Möchtest du deinen Gedanken von deinem Herz aus zuhören? Nimm dir einen konkreten Impuls mit und experimentiere mit ihm – deine Gedanken sind deine Freunde, wenn du Frau/Herr in deinem Haus bist. Vielleicht magst du gemeinsam üben und dich von der Kraft der Gruppe tragen lassen: Die nächste sunday-morning-practice am 18.02. von 08.00-12.00 Uhr in Hall in Tirol widmet sich dem Thema „von Innen nach Außen – denken“. Hier findest du mehr Infos und kannst dich anmelden. Wie geht’s dir mit deinen Gedanken? Was hilft dir am besten um sie wieder sinken zu lassen und inneren Raum in dir zu spüren? Ich freue mich so sehr von dir und deinen Erfahrungen zu lesen! Alles Liebe!